Petra Zeichner
Autorin

Lyrik und Prosa - Petra Zeichner

Jazz

Das Piano fließt durch Wälder und Wiesen,

vorbei an Büschen, die vor Wasser fliehen.

Die Töne springen von Steinen zu Kieseln,

bevor sie feuchte Spuren über Blätter ziehen.

 

Die Blätter rascheln, eine Stimme mit Schwingen.

Wie ein Wind, der durch die Wälder streicht.

Weiche Worte wachsen aus ihm im Singen.

Jedes einzelne schaut sich um und es reicht

 

seine Hand dem klingenden Füllhorn entgegen,

sich zu vereinen mit lautem und leisen Ton.

Wie Goldkehlchen, die vom Boden abheben –

so strömt es glitzernd aus dem Saxophon. 

 

 

Endlich

Lange hat er darauf gewartet. Nun ist er da. Steht in der Morgensonne und glänzt. Es ist ein satter Glanz. Die Formen lösen sich bei seiner Betrachtung auf in fließende Linien, die ineinander verlaufen. Zügig schwingt sich ein silberfarbener Streifen von vorne nach oben. Er beginnt in einem Punkt, aus dem zwei Linien entspringen, die langsam und unaufhaltsam auseinanderstreben, dabei mehr und mehr Raum zwischen sich lassend, den sie mit jener Farbe füllen, die in Millionen weißlich-grauen Punkten funkelt, wenn Sonnenstrahlen auf sie fallen, und die in einer matten Sanftheit vor sich hinschimmert, sobald sich Wolken vor das gleißende Licht schieben. Dann nähern sich die beiden Linien wieder an, dabei das Silber aus ihrer Mitte verdrängend, um schließlich nach einer längeren Reise wieder an einem einzigen Ort zusammenzutreffen. Liebevoll wandern seine Finger über den Streifen, der sich ebenso samtig anfühlt wie er aussieht.

In seinem Innern formen sich Bilder:

Er, wie er einsteigt.

Er, wie er immer schneller wird.

Er, wie er alle anderen hinter sich lässt.

Er, wie er...

„Ich habe auch so einen.“ Eine Stimme neben ihm.

Er dreht sich um. Es ist sein Nachbar.

„Bah.“ Geringschätzung liegt in seiner Stimme. „Deiner ist Baujahr 2011, meiner hier ist neu.“

„Das macht keinen Unterschied“, meint der Nachbar. „Zwei Jahre machen nichts aus.“

So eine Anmaßung, denkt er. Immer muss der Typ besser als alle anderen sein. Es reicht ihm.

„Hör zu, wir treffen uns nachher an der Rennstrecke, dann kannst du sehen, dass zwei Jahre ein großer Unterschied sind.“

„Mirko“, ruft seine Mutter. „Mirko, komm endlich rein frühstücken. Du musst gleich los zur Schule. Und stell’ vorher deinen neuen Kettcar in den Schuppen.“